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Parade of the Zeros
  • © Berlinische Galerie / VG Bild-Kunst, Bonn
  • Repro: Kai-Annett Becker
    • Werner Heldt (1904 - 1954)

  • TitleParade of the Zeros
  • Date1933 - 1935
  • CategoryZeichnung
  • MaterialKohle auf Guarro-Bütten
  • Dimensions47 x 63,3 cm (Blattmaß), 70 x 90 cm (Passepartoutmaß), 74,3 x 94,4 x 4,2 cm (Rahmenmaß)
  • Signatureunbezeichnet
  • Inscriptionbeschriftet rückseitig (von fremder Hand): ENKELMANN L.P. (8-10)
  • Inventory NumberBG-G 0400/77
  • CreditlineErworben aus Mitteln der Stiftung DKLB und aus Mitteln des Senators für Wissenschaft und Kunst, Berlin, 1975
  • On DisplayNo
Description

Demonstration, Straße, Haus, Fahne, Transparent, Mensch, Masse

(Internettext FM) Beunruhigt beobachtete Werner Heldt in den späten zwanziger Jahren das Anwachsen politischer Massenbewegungen. Er fürchtete ihre Intoleranz gegenüber Einzelgängern wie er einer war. Daher bestürzte ihn die Regierungsübernahme Hitlers sehr. Schon im Frühjahr 1933 floh er vor der an die Macht gekommenen nationalsozialistischen Bewegung nach Mallorca. Dort, im Exil, beschäftigte ihn das Thema „Masse“ mit neuer Dringlichkeit. Überliefert sind ein umfangreicher Aufsatz und einige Zeichnungen, zu denen auch das Blatt mit dem Titel „Meeting“ beziehungsweise „Aufstand der Nullen“ gehört.
Heldt hat hier, eingezwängt zwischen den Häusern einer Großstadt, eine unüberschaubar große Menschenmenge dargestellt und hat dabei für die Masse eine radikal einfache Bildformel gewählt: Monoton aneinandergereihte Nullen füllen einen großen Teil des Bildes. Schwarze und weiße Flächen, die als Fahnen und Transparente erkennbar sind, setzen in dem einförmigen Muster Akzente. In ihrer Uniformität entsprechen die Nullen der anonymen Gesichtslosigkeit und Selbstaufgabe des Einzelnen in der Masse: „Jeder ist wie der andere und keiner ist er selbst“ (M. Heidegger). In ihrer lückenlosen Reihung gleichen sie einer elementaren Naturgewalt, einem Lavastrom, der unaufhaltsam alles mit sich zu reißen und zu vernichten droht.


Barrierefreier Text:

Von links nach rechts und von unten nach oben hat der Künstler in horizontaler Reihung eine Null an die andere gefügt. Fast das ganze Blatt ist mit Nullen gefüllt. Im oberen Teil der Kohlezeichnung sind über die ganze Breite des Bildes Häuser und eine in die Tiefe flüchtende Straße dargestellt.



Out and About - Queere Sichtbarkeiten in der Sammlung der Berlinischen Galerie

Brachiale Menschenmengen, laut, obwohl es still ist, kohlstiftstill. Es ist nicht die Love-Parade oder eine beliebige Fridays-for-Future-Demo. Und trotzdem, vielleicht auch gerade deshalb, schreit mich ein Weiß, eine Norm an. Es ist erdrückend, es ist privilegiert, selbst der Aufschrei und die Kritik an dieser Ansammlung auf dem Kunstwerk sind es. Selbst der Körper, der diese Linien zieht, darf einfach beobachten. Ist das leicht? Wahrscheinlich nicht. Ist das gewollt? Ich weiß es nicht.

Ich bewege mich am Bildrand entlang. Häuserwände, ein riesiger Platz und Menschenmassen, die erst bei genauerer Betrachtung meine Erkenntniswände weniger abstrakt tapezieren. Die Nullen fallen auf. Ich sehe schwarze Fahnen, die wie Haifischflossen durchs Menschenmeer navigieren. Ich sehe Transparente, die keine Aufschriften brauchen, weil die Nachricht klar ist. Doch was hat Werner Heldt zu sagen?

Nullen und Nullen, was anderes darf in jener Zeit nicht existieren, ist nicht gewollt. Die Binarität, Banalität hört einfach nicht auf. Fortgeführt? Ich hätte es mir damals nicht leisten können, eine unsichtbare Null zu sein, wäre nie eine geworden, und heute ist das ebenso. Welche der Nullen beschreibt Heldts eigenen, privilegierten Anteil, das Grausame beobachten zu dürfen, zu müssen? Von wo aus blickt die zeichnende Person auf das zerstörerische Szenario?

Und immer, immer wieder Fragen: Wo wäre ich in diesem Werk? Ich suche meine Leute. Ich suche die Nicht-Norm und die verwobenen gesellschaftspolitischen Anteile im Bild. Wo sind die Mehrschichtigen, die Widerständigen? Reicht es schon aus, den Schock, das Angewidertsein künstlerisch fühlbar zu machen? Was kommt danach, was verbirgt sich transformativ dahinter? Wo ist Heldts tiefe Schwere und die Angst davor, dass die eigene Positionierung entlarvt wird, ein Seelenzustand, der Heldt fast das ganze Leben begleitete? Sie sind nicht zu finden. Und trotzdem suche ich sie sehnlichst.

Einen letzten Blick auf den Aufmarsch, ich suche mich noch immer und erschrecke mich noch immer, wenn ich die Perspektive betrachte, von der Werner Heldt zeichnet. Ist das ein Dach, eine Bühne, ist das ein Versteck? Wäre das auch mein Ort?

(Gastauor*in: Stefanie-Lahya Aukongo, Künstlerin und Poetin, Prnomen: keine/sie,ihr)