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- Raoul Hausmann (1886 - 1971)
- Involved Persons Raoul Hausmann, Korrespondenzpartner, Absender/inHannah Höch, Korrespondenzpartner, Adressat/in
- TitleBrief von Raoul Hausmann an Hannah Höch. Berlin
- Date05.06.1918
- CategoryKorrespondenz
- ClassificationBrief
- MaterialPapier, handgeschrieben
- Amount3 Blatt
- FondsNachlass Hannah Höch
- Inventory NumberBG-HHC K 725/79
- Other NumberBG-HHE I 10.42
- CreditlineErworben aus Mitteln der Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, 1979
- TermsBrief, Korrespondenz, 2.1.1 an den Nachlasser (pK), Deutschland / Berlin, Nachlass Hannah Höch
- On DisplayNo
- Transcription / Description
- Additional Reproductions
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„5. Juni 1918
Ich erinnere Dich daran, daß wir Beide Sonntag früh so müde waren, daß wir nach dem Wecken noch einmal 10 Minuten schliefen. Als ich Dich zur Elektrischen gebracht hatte, kaufte ich mir das Berliner Tageblatt und fand im Ulk das sanfte Dada[1], was mich sehr erfreute. Dann arbeitete ich in Mommsenstraße - wo ich noch die Bestellung für 20 Hefte aus München[2] fand - bis gegen 12 Uhr an meinem Holzschnitt.[3] Als er fertig war, lief ich zu meinem Vater[4], weil ich darauf brannte, einen Abzug davon zu machen. Ich war sehr enttäuscht, meinen Vater nicht anzutreffen. Um 1/2 2 Uhr kam Pepinski[5], mit dem ich dann zu Preiss[6] wegen der Bezahlung des Anzuges ging, statt zu meinem Vater, wie beabsichtigt war. Ich übte mit ihm eine Pression auf Preissens Mutter aus. Als wir um 1/24 Uhr zurückkamen, sah ich mir das Papierbild[7] an - hatte auf einmal die richtige Idee und zerschnitt es und klebte es schnell noch auf. Dann lief ich zur Elektrischen, um zu Ullstein zu fahren. Ich war voll Begeisterung über Dada. Wir holten die Karten ab und ich fuhr mit Dir nach hause - in der Elektrischen sprach ich über mein Heft mit Dir, konnte aber nicht erwarten, meinen Holzstock und das neue Papier zu holen. Von Büsingstrasse aus ging ich dann mein Fleisch etc. holen (ich sagte Dir vorher, dass E.S.[8] garnicht zu hause sei -) kam wieder, traf Deinen Bruder an, für den ich noch die Russische Revolution mitbrachte, und machte schnell 2 Abzüge (ließ mir von Dir noch einen Rat betreffs des Abziehens geben, den ich sehr praktisch fand!) - so daß Danilo sagte: was bist Du denn so tätig? Daß Du den Holzschnitt gut fandest, aber mit den Buchstaben darin nichts anzufangen wußtest, das kränkte mich - ich hatte den Eindruck, als wolltest Du etwas zu sehr Deine eigne künstlerische Überzeugung wahren. Auch, daß du den Holzschnitt auf rosa neben dem gelben Umschlag nicht schön fandest, störte mich; bei dada gibts keine ästhetischen Einwände. Auch fandest Du zuerst die Farben des Papierbildes zahm (was Danilo meint, kann mich nicht stören) - ich hatte erwartet, Du würdest alles ebenso schön finden wie ich - und Du verhieltest Dich nun ablehnend - statt das Neue, das ich will, zu sehen! (Sonntag Vormittag erklärte ich Dir, was ich mit dem Papierbild wollte, und Du gabst zu es »erst jetzt« zu verstehen, statt wie ich meinte, von allein!) Während du kochtest, sprach ich mit Danilo nur über Dada, gab ihm die ganzen Manuscripte zu lesen. Nach dem Essen wurde ich sehr müde. In der Kneipe wehrte ich Deine Mahnungen an Danilo wegen der Behandlung des Buches ab (aber gutmütig) weil es mir gleichgiltig war und ist, wie er es behandelt. (Ich will es ihm eigentlich schenken, wenn es ihn beim lesen interessiert. Auch wenn er’s in den Dreck wirft, macht es mir nichts, soviel hat er schon um mich verdient, daß ich da nicht wegen eines Buches kleinlich sein werde.) Aber natürlich wußtest Du das nicht. [...]//
Noch eins: meine neuen Kunstbestrebungen betrachtest Du nicht als Loslösung vom Expressionismus. So wird z.B. der expressionistische Künstler ein Gedicht, wie der Wald in Holz schneiden wollen. Der Dadaist kann das garnicht wollen: er wird nicht etwas, was heute rein maschinellen Charakter hat, wie Typographie oder ihre dynamische Form, wie die dadaistische Art der Typographie, in ein andres Material übersetzen. Gerade das maschinelle daran soll differenciert werden. Das ist ebenso, wie unser Gespräch über die Mahesa[9] am Donnerstag - Du bist mit etwas zufrieden, dem ich eine neue Differenzierung abgewinnen will, das ich aus der Ausdrucks-Empfindung in den Dynamismo-plastiko führen will - und der »kleine« Unterschied, der eben in der Kunst ein »großer« ist - der ist Dir nebensächlich, und Du übersiehst ihn zunächst. - Aber dann wären wir heute noch bei der Gotik! Denke an unser Gespräch in Potsdam - ich habe Dir da doch deutlich gezeigt, daß ich neben der Realität der Natur eine Realität der Kunst (astraler!) als meiner Ansicht nach jetzt Einziger in Deutschland, will - und da wäre mir ein schnelleres Verstehen ohne soviel vorsichtiger Einwände lieber -//
ich möchte, daß Du das Neue besser und schneller verstehst - warum ein Papierbild erst »erklären«? von dem »Neuen« bin ich absorbiert - das bedeutet mir viel - sonst kann man’s nicht machen!“//
[1] Hans Heinrich von Twardowski: Das sanfte Dada. In: Ulk: Wochenbeilage zum Berliner Tageblatt. 4.7.1918, 22 (Kriegsnummer 200 vom 31. Mai 1918): »Im Bauch des Oberlehrers sprießt das Gras / In meinem Schädel dörrt das Stroh. / Ich bin ein kleiner Bürger, hojohoh, / Der andre kleine Bürger gerne blufft. / Ololo! Olale! - Schelaben! - Schlabei! / Buschki! - Baschki Lodomo! / Auf meinem Schädel wächst ein Dromedar. / Was sollte sonst auf meinem Schädel wachsen? / O Bolo! Wau wau! Axen axen! / Dada! Hurra! Haha hihi hoho!«
[2] Die Bestellung war vermutlich von der Galerie Goltz aus München.
[3] Hausmann veröffentlichte in Material der Malerei Plastik Architektur einige kolorierte Holzschnitte (vgl. Nr. 10.103).
[4] Hausmanns Vater, Victor Hausmann, war als akademischer Maler am Kaiserlichen Hofe angestellt.
[5] Eryk Pepinski (1886-?), Maler, Graphiker, Gartenarchitekt, war mit Raoul Hausmann befreundet. Er gehört 1919 zu den Unterzeichnern des Programms des Arbeitsrates für Kunst.
[6] Gerhard Preiss (1889-1920), grotesker Tänzer, später Musikdada. Mitunterzeichner des Dadaistischen Manifests (Vgl. BG-HHE I 10.18).
[7] Während der Matinee mit Johannes Baader am 6. Juni 1918 im Cafe Austria stellte Hausmann eine Montage aus zerschnittenem, verschiedenfarbigem Papier aus.
[8] Elfriede Hausmann-Schaeffer.
[9] Sent M’ahesa, Ausdruckstänzerin