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Brief von Raoul Hausmann an Grete Höch
  • © Unterliegt nicht dem Urheberrechtsschutz
  • Repro: Anja Elisabeth Witte
    • Raoul Hausmann (1886 - 1971)

  • TitleBrief von Raoul Hausmann an Grete Höch
  • Date17.2.1917
  • CategoryBrief
  • ClassificationKorrespondenz
  • MaterialPapier, handgeschrieben mit Tinte
  • Dimensions21 x 16,3 cm (Blattmaß)
  • Amount8 Blatt (8 Seiten)
  • FondsNachlass Hannah Höch
  • Inventory NumberBG-Ar 14/98,4
  • CreditlineSchenkung aus Privatbesitz, 1998
  • On DisplayNo
Transcription / Description
Additional Reproductions

"17. Februar 17
Liebe, Dein Brief war mir ein Trost. Ich kann Dir nicht viel schreiben, weil ich alle meine Gedanken bei Hannah habe. Wie ich ihr helfen könnte. Sie gab mir vorigen D̶i̶ ̶M̶i̶t̶t̶w̶o̶c̶h̶ Dienstag einen Brief an Dich zu lesen, aus dem ich sehen sollte, dass alle Fehler an mir lägen. In dem Brief gab sie ihrer Freude Ausdruck, dass Du Dich über C.E. getäuscht hättest. Sie schrieb weiter, Du dürftest Dich durch Mitleid oder mütterliche Gefühle (die Gefühle, die den Mann retten wollten) nicht irre machen lassen, es ginge um Dein Leben, das dürftest Du nicht o̲p̲f̲e̲r̲n̲. (Du siehst, wie sich sich verzweifelt dagegen wehrt, mich ganz zu innerst fühlen zu wollen.) Sie schrieb dann auch, dass sie mit Frau Michaelson menschlich gesprochen hätte, die hätte ihr wieder auf ihren Weg geholfen, Ich schrieb ihr einen langen langen Brief, in dem ich ihr zu zeigen versuchte, wie sie nur vor sich selbst, und vor ihrer “Opferung“ fliehe, und dass sie Dir ja nicht diesen Brief senden dürfe - wenn Du schriebest, Du hättest Dir Deine Liebe nur eingebildet, dann redetest Du Dir das ein, um über den Schmerz hinwegzukommen - ein Mensch wie Du könne sich nicht Liebe 'einbilden'. Sie hat nicht geantwortet. (Sie wollte eine längere Trennung, aber sie sah nicht, dass sie d̲i̲e̲ Trennung will!) Ich schrieb ihr heute wieder. Aus diesem Brief folgende Stellen: Als ich Dir am Mittwoch den Brief brachte, dachte ich: Du wirst sagen, ich sei blind, will oder kann Dich nicht verstehen. Aber dachte ich, das ist nicht so, was ich vor Dir voraus habe, was mir so zu schreiben, unegoistisch zu bleiben, ermöglichst, ist die brennende Sehnsucht die ich nach Dir empfinde. Nur Dich in die Arme nehmen, dieser 'fanatische Glaube, es würde alles neu werden'. - Du brauchst mich nicht - ich hatte nicht Schmerzen, weil ich mich verkannt oder zurückgesetzt fühle, sondern um Deinetwillen, wie soll ich das sagen? Deine Herzenswunden wieder heilen, Dich froh machen...
In dem Brief an Deine Schwester waren so viel Worte die von Frau Michaelsohn stammen, Du hast ja ein viel besseres Herz als diese grausamen Worte zeigen sollten.
Sie hat Dir diesen Standpunkt aufgedrängt...
Worüber sich Grete unklar ist: ist C.E. so krank, dass sie n̲i̲e̲ Kind von ihm möchte, oder verweigert sie ihm, aus i̲h̲r̲e̲r̲ inneren Notwendigkeit, die Hingabe weil sie ihm jetzt nicht helfen kann, d̲a̲m̲i̲t̲ nicht helfen kann. W̲i̲e̲, wenn er sich selbst helfen könnte? - Darum darf man nicht sagen: sie dürfe sich nicht opfern, weil man das specielle der Beziehungen hier nicht genug vom Allgemeinen unterscheiden kann, als auch von Grete noch ununterschieden. Andrerseits: ist ihre Reinheit, Verwurzelt-sein mit dem Grunde gross genug, um seine als nicht rein genug zurückzuweisen (durch Instinkt,) daun braucht sie diesen Rat nicht; ist ihre Reinheit noch nicht stark genug, dann kann man nicht voraussehen, ob nicht ihre Hingabe sie durch die daraus später unfehlbar entstehenden Schmerzen zu ihrer ganzen Reinheit führen würde - auch dann ist der Rat, der Klärung herbeiführen soll, nicht angebracht. Ist ihr SeelenUrgrund stark genug in ihr, dann wird sie sich nie einem Mann hingeben, der ihr nicht entspricht, innerlichst. Sie wird sich dann nicht mehr 'Liebe einbilden'. Vor dieser Gefahr muss man sie warnen, sie, für sie denkend, fragen: hast Du alles bedacht? Wie, wenn er wiederkommt? Anders? Oder erwartest Du das nicht, nicht m̲e̲h̲r̲? Arme, wenn Du nur wüsstest, wie sehr Du Dich zur Wehr setzt, in Einsamkeit und Eigenwillen retten willst, ich sehe, dass das Meiste von da herkommt, dass Du alles hast für Deine Geschwister hast tun müssen, zuerst hast tun müssen. Dein Misstrauen und Nicht-bei-mir-aushalten rührt daher, dass Dir das Ankämpfen gegen Unterdrückung so zur zweiten Natur geworden ist, durch Deinen Vater, dass Du auch bei mir nicht an gute Absichten glauben kannst... Du weisst noch nicht was Gemeinsamkeit ist, Du kannst Dich noch nicht ganz hingeben, ruhig vertrauen, weil ich Dich enttäuscht habe, verzweifelte an Deinem Misstrauen - aber komm, versuch es doch noch einmal!
Frau Michaelson rät Dir schlecht, weil sie nicht im Mindesten bedenkt, welche Folgen ihr Rat in dieser Situation, die sie nicht fühlt, für Dein Leben haben kann, sie rät Dir egoistisch, wie s̲i̲e̲ es machen würde, -
Tu mir die Liebe, schreibe mir, was Hannah Dir nun geschrieben hat. Wenn Du kannst, würde ich Dich bitten, schreibe ihr, ich hätte Dir einiges anvertraut, o̲h̲n̲e̲ ̲m̲i̲c̲h̲ ̲z̲u̲ ̲s̲c̲h̲o̲n̲e̲n̲, und dann schreibe ihr, wie und was Du denkst - sie macht sich vor sich selbst hart und blind und meine Worte dringen nicht zu ihr. Wenn ich sie 2 Stunden sprechen, sie bitten könnte - aber sie ist geflohen und macht sich unerreichbar. Ich glaube nicht mehr, dass je es noch gut werden kann. Wenn ich aber auch für mich nichts hoffe, so ist es mir doch entsetzlich, dass ein Mensch, den ich liebe, in solcher Finsterniss und Verzweiflung, nicht an mich zurückdenken, aber später weiterleben soll. Der Schade den Hannah innerlich erleidet, wenn dieser selbstsüchtige 'moralische' Standpunkt der Frau Michaelson in ihr Siegen sollte, ist so unübersehbar - es wäre ja möglich, dass sie nie mehr mit etwas Liebe an mich zurückdenkt - aber so verhärtet sie sich gegen sich selbst so furchtbar - sie wird auf 'diesem Weg' nie mehr richtig leben können - verschüttet sich den Zugang zu sich selbst, wird ganz bitter und nie ruhig sein - kannst Du mich verstehen, dann hilf! R."