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Brief von Raoul Hausmann an Grete Höch. Berlin
  • © Unterliegt nicht dem Urheberrechtsschutz
  • Repro: Anja Elisabeth Witte
    • Raoul Hausmann (1886 - 1971)

  • TitelBrief von Raoul Hausmann an Grete Höch. Berlin
  • Datierung26.1.1918
  • GattungBrief
  • SystematikKorrespondenz
  • MaterialPapier, handgeschrieben mit Tinte
  • Masse21 x 16 cm (Blattmaß)
  • Umfang4 Blatt (8 Seiten)
  • KonvolutNachlass Hannah Höch
  • InventarnummerBG-Ar 14/98,12
  • CreditlineSchenkung aus Privatbesitz, 1998
  • AusgestelltNein
Transkription / Beschreibung
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"26. Jan 18
Du musst natürlich die wahren Gründe von Hannahs unversöhnlichem Benehmen kennen - es ist wieder Protest gegen mich und Rache, die froh war, einen Punkt gefunden zu haben, wo sie einhaken kann.
Am Dienstag war ich zu ihr gekommen, ohne ihr zu sagen, dass ich nicht wieder nach Mommenstrasse zurückkommen wollte - wenn Sie ein Kind von mir haben wollte. (Ich hatte sie schon einige Tage zuvor gebeten, wir wollten ein Kind haben, nicht feig sein, denn ich nahm an dass sie schwanger war, trotz aller “Vorsicht“.) Und dann kam der Arzt und sagte:
Schwangerschaft in der 6ten Woche. Abends machte sie mir wieder eine furchtbare Geschichte, die sie dann zuletzt einsah, als böswilliges Missverste[he]n ihrerseits. Den nächsten Tag aber musste ich mit einem andern Arzt sprechen, weil sie kein Kind haben will.
Sie sagte dann: solange wir Beide noch so viel miteinander zu tun haben, nicht. Ich sagte: wir brauchten nicht so miteinander stehen, worauf sie antwortete: ich habe ja gestern gesehen, wie viel an mir liegt. (also an ihr)
Aber ihre Hauptsorge war doch ihre Familie. - Ich hatte ihr nichts gesagt, von meinem Entschluss gegenüber Mommsenstrasse E.S. aber wusste davon. Hannah wollte ich nicht beeinflussen dadurch, sondern sie sollte sich frei entscheiden. Am Donnerstag ist sie dann operiert worden. Dass ich als Mitbetroffener gar nicht für ihr Bewusstsein in Frage komme, siehst Du ja: das war [HR Kind. Ich hatte am Mittwoch Abend geschrieben, in mein
Notizbuch:
Die Schwere des Schicksals: Geburt eines Menschen! Das Weib, sich trennend von Jugend und Fröhlichkeit und Heimat, der Heimat die die ihre war; um Heimat zu werden, selbst zur Heimat zu werden, sich aufzulösen im Leben für das Andere, Neue: ihren eingeborenen Sohn! Diese Heimat zu werden, zu sein für den Sohn - Selbstverzicht und Überwindung über sich hinaus - ist des Weibes Weg, der da heisst: Du sollst mit Schmerzen gebären: mit Sclurierzen auch um Dich selbst! Diese sieben Schwerter der eignen SelbstPreisgebung, des Werdens des Dritten, Anderen - die werden Dein Herz durchbohren! - Und dass Du aufgibst Jugend, Fröhlichkeit, gewesene Heimat: das ist höchste Tugend, das ist höchster Stolz: und Dein höchster Lohn ist eine neue Verantwortung und Hingabe: Deine eigne Heiligkeit. - Die Schwere des Schicksals: Geburt, hinweghebend über Dich selbst, zu Stolz und Ernst und Gefasstheit und Durchdrungensein vom Werden der Wahrheit des Daseins! Weib-Jungfrau, Mutter des Menschen!
Aber dass ich etwas empfände oder hoffte, das kommt ja nicht in Frage. Wie ich zu E.S. stehe, das wusste Hannah genau. Auch, dass ich nicht in dem Zimmer, wo Stunden gegeben werden, 10 Tage auf der Chaiselongue krank liegen konnte, musste sie sich schon eigentlich gesagt haben - denn sie war schon in Mommsenstr. - Aber ist ja nicht das Entscheidende. Operieren liess sie sich: wegen ihrer Heimat, wegen ihren Eltern. Mut zu mir:
hätte das Kind geboren. Aber sie hatte nur Misstrauen. (Auch geäussert.) Unsere Beziehungen zu einander, und jetzt dies Getötete - das entscheidet eigentlich.
Aber ich bemerkte gestern, als Du und Walter Höch gekommen wart: ihr Glück in der Familie. Und auch vorher schon war das Richtmass ihres Handelns: die Familie. Als ich heute kam, war Hannah gleich nicht sehr herzlich, und dann fing sie an, mich inquisitorisch zu fragen. Wahrscheinlich war das ein Abwehrinstinlct. Und ihr Widerstand mag wohl aus der erzwungenen Geheimhaltung ihres Zustandes (an dem ich “schuld“ bin) wach geworden sein. Dass, oder wie ich sie liebe - das zählt nicht. Auch nicht, dass ich nicht aus Bequemlichkeit in Mommsenstr. bin, sondern dass es sich, wie Hannah weiss, um die Verwirklichung des neuen, bewussten, verantwortlichen Menschen handelt; und so ist alles möchten und wollen und sein von mir für sie Unsinn und verlogene Gemeinheit. Und nicht ihre Liebe zu mir ist in ihren Augen sch[w]anlcend und verräterisch, sondern meine. Obzwar mich im tiefsten alles an sie bindet, und auch diese letzten 3 vergangenen Tage ich nur zu ihr hielt.
Da sie aber mich immer wieder von sich stösst - so muss ich endlich das tun, was mir am schwersten fällt: ich muss sie sein lassen, wo sie sein will. Wenn sie gerecht wäre, jj gerecht - dann wäre ihr alles zwischen uns nur Beweis fUr.nicht gegen. Sie ist aber: gegen mich, und kennt nur immer wieder Empörung und Rache: weil ich stärker bin, und mehr Verantwortung will; und weil ich sie gegen ihr Wollen gewonnen habe und weil ich die Familie zerstören würde."