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Brief von Raoul Hausmann an Hannah Höch
  • © Unterliegt nicht dem Urheberrechtsschutz
  • Repro: Anja Elisabeth Witte
    • Raoul Hausmann (1886 - 1971)

  • TitelBrief von Raoul Hausmann an Hannah Höch
  • Datierung28.1.1918
  • GattungBrief
  • SystematikKorrespondenz
  • MaterialPapier, handgeschrieben mit Tinte
  • Masse16 x 21 cm (Blattmaß)
  • Umfang5 Blatt (5 Seiten)
  • KonvolutNachlass Hannah Höch
  • InventarnummerBG-Ar 14/98,19
  • CreditlineSchenkung aus Privatbesitz, 1998
  • BezügeBrief, Korrespondenz
  • AusgestelltNein
Transkription / Beschreibung
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"An Hannah Höch. 28.1.18
Leo Tolstoi, die Gebote Christi -
Das erste Gebot lautet: Halte Frieden mit allen, hüte dich einen andern Menschen für nichtig oder für einen Verrückten zu halten. Wenn der Friede zerstört ist, so wende alles daran, um ihn wieder herzustellen, der Dienst Gottes ist Vernichtung der Feindschaft. Versöhne Dich bei der geringsten Uneinigkeit, auf dass Du das wahre Leben nicht verlierst. -
Was Du auch sonst gegen mich sagen willst: ich habe stets nach dieser Vernichtung der Feindschaft gestrebt, die nur sein kann Selbstüberwindung in Beziehungen und Vertrauen. Vertrauen auf den Anderen als Menschen. Wenn Du immer wieder anführst, Du könntest Dich nicht überwinden und auflösen wegen meiner Beziehungen zu einer andern Frau, so führe ich dagegen an, dass Du mir im Oktober schriebst: Dieses Wort: Komm! ich will Dich nicht aufgeben - kann ich Dir nur schreiben, wenn ich Dich gleichzeitig nicht darüber im Unklaren lasse, dass ich es als eine Vergewaltigung für Deine Zwecke ansehe, wenn Du mich zwingen willst, Sympathien oder gar Beziehungen zu heucheln, wo individuell bei mir keine vorhanden sind; denn diese Frau ist mir, ganz abgesehen davon, was ich durch sie schon gelitten habe, gänzlich unverständlich und fremd. Dass ich das, mir unter diesen Verhältnissen mögliche tun will, um Dein Verhältnis mit dieser Frau nicht zu stören, ist das Einzige, was ich Dir sagen kann. Wenn es nicht genügt bitte ich Dich: komm nicht.
Meine Antwort war: zu kommen. Und Du solltest sehen, dass durch diesen Brief ausgesprochen ist: diese Frau nicht mehr als Confliktgrund anzusehen und zu gebrauchen. Du könntest, statt zu sagen: wer mit einer andern Frau im selben Zimmer schläft, auch ebenso sagen: wer mit ihr am selben Tische sitzt. Es wäre das Gleiche. -
Aber Du musst Dich endlich zu der Einsicht aufschwingen, dass dies nur ein willkommener Anlass war für Deine Rache: dass Du unser Kind nicht gebären könntest - nicht wegen dieser Frau, denn die hatte mich zu Dir geschickt, weil sie fand, ich müsste bei Dir bleiben, wenn Du ein Kind bekämst - sondern wegen Deiner Angst vor Deinem Vater. Und diese Angst hat sich übertragen in Rache, auf mich geworfen und will zur eignen Selbstrettung, zur Aufrechterhaltung Deines Stolzes mich minderwertig machen und wissen. Das ist alles. Und Du musstest nach der Nacht vom Dienstag zum Mittwoch, wo Du sahst, dass Du mir unrecht tatest, Dir selbst etwas weniger trauen. (Allerdings hörte ich, dass Du entgegen Deinen eignen Worten und der Wahrheit jetzt schon wieder auch hierfür die Schuld auf mich schiebst.) Aber Du musst einmal ehrlich sein und nicht nur freventlich mit Deiner Gesundheit spielen um mir die Schuld auch daran zuschieben zu können. Ist an Dir alles Rache? Nur Rache? Hast Du mich je versehen wollen - oder hast Du mir nicht immer wieder unbesehen verziehen - weil n̲u̲r̲ i̲c̲h̲ schuld sein kann?
Flüchte nicht immer wieder vor Deiner Selbstüberwindung. - Das körperliche Vertrauen - Dein Instinkt hat Dich zu mir geführt. Das intellektuelle Misstrauen musst Du eben dieses Instinkts wegen trotz allem und gegen alles was Dich stört überwinden in Selbstauflösung in Vertrauen."