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Dada ist zehn Jahre alt. [Hamburg]
  • Repro: Anja Elisabeth Witte
    • Johannes Baader (1875 - 1955)

  • TitleDada ist zehn Jahre alt. [Hamburg]
  • Date[vermutlich Anfang 1926]
  • CategoryManuskripte
  • ClassificationTyposkript
  • MaterialPapier, maschinengeschrieben, Durchschlag, handschriftlicher Zusatz, Bleistift
  • Amount4 Blatt
  • FondsTeilnachlass Raoul Hausmann
  • Inventory NumberBG-RHA 1777
  • CreditlineErworben aus Mitteln der Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, und Spendenmitteln, 1991
  • TermsDada, Deutschland / Berlin, Typoskript, Nachlass Raoul Hausmann
  • On DisplayNo
Transcription / Description
Additional Reproductions

»J. A. Baader, Hamburg 5, Danzigerstr. 35[1]
Dada ist zehn Jahre alt. / (Zum 16. Februar 1926.)

Von Baader.

Früher hat Huelsenbeck einmal den Dadaismus in der „Neuen Rundschau" als die Religion des Weltgerichts definiert. Definieren wir die Dadaisten heute zu ihrem zehnten Geburtstag ein zweites Mal. Ich kann das, denn die Dadaisten behaupten ja, ich sei nie Dadaist gewesen und die dadaistische Weltgeschichte hätte den grössten Dadawitz gemacht, als sie ausgerechnet mich zum Oberdada erhob.
Also lassen wir den Oberdada ganz beiseite und auch die dadaistische Zürcher Geburtsgeschichte vom 16.2.1916 (Huelsenbeck und Ball finden das Wörtchen im Wörterbuch und Tzara macht es zum Weltschlager) - ist landbekannt und also überflüssig zu wiederholen.
Zunächst gehören sämmtliche Dadaisten in das Gebiet der Sage. Da sie alle laut Programm und Manifest Antidadaisten waren hat es niemals keinen Dadaisten gegeben. Die Dadaisten wollten den Ossa auf den Pelikan türmen und den Stall des Augias ausdadamisten. Aber das wäre eine grundfalsche Darstellung. Tzara wollte den Futurismus durch sich selbst übersteigern, Marinetti marinieren, und Picabia frikassierte die expressionistische Linie zur Dadafraktur, während Arp die Honorare (pardon „die Hormone") der Schwalbenhode harmonisch exstirpierte, quadirierte, kastrierte, und auf die lange Bank spannte, gespannt, gespunten, wie das Zündloch die Spunten der Kanone (kann ohne) -deinen Glanz nicht sehn, ja sehn, musst scheiden, ada, dada, papa, grosspapa.
Nein, Arp war der tiefste Mystiker, der das Prinzhorn beim vordersten Stier packte, und in die Lyrik der Geisteskranken die bewusste Systematisierung des absolut zielklaren Paralytikers brachte, was mit Arp jedoch nichts zu tun hat. Denn gerade darin bestand ja der grosse Unterschied, der die Menge dadaistisch maladierte, dass die Dadaisten bewusst betrieben, was der Pathologe pathologisch manifestierte. Aber doch nicht so ganz bewusst. Seien wir ehrlich und gerecht, es hat sich (ich sage nicht gerächt) - sondern gerechterweise feststellen lassen müssen, dass auch die Dadaisten an die Summa Sum-marum der Dadalogie glaubten wie der Pathologe an den Wortsalat. (Womit wiegesagt betont prononziert werden soll, dass sie völlig Herr ihrer Manifestation blieben). Allein die Manifeste lassen doch deutlich erkennen, dass der Pathologe im Wortsalat eine volle, da-däquate Aeusserung seiner inneren immanenten Gefühlskomplexe, wenn auch explosiv, so doch vollkommen in sychromater Perfektion exponiert zu haben glaubte, und dass der Simultandadaist an dem gleichen illusionären Dadaschnuller lutschte.
Dabei ist es wichtig, vor Augen zu behalten, dass der Geisteskranke das ja nur für seine Umgebung ist, niemals aber für sich selbst. Für den Geisteskranken gibt es keine Geisteskrankheit. So auch für den Dadaisten keinen Dadaismus. Ihm ist diese Aeusserungsform absolut normale Alltagsfunktion, die im Psychischen elektronal verankert, niemals die Konstante der Assoziation mit ihrer Schwingung zertrümmert.
Oder kürzer gesagt: Wenn Huelsenbeck den Schweinehirt mit dem D-Zug über die Brücke von Nisch sausen lässt und gleichzeitig den Doktor Billig auf dem Rennplatz mit Franz Jung Tickets austauschen sieht, während im selben Augenblick Ludendorf im Simplizissimus behauptet, dass die Sache ohne ihn schief gehe und Klaus Mann mit Anja Wedekind und Pamela Esther in den Hamburger Kammerspielen auftritt, zugleich in München die Erstauffführung herauskommt, in Newyork der Wolkenkratzer der Hapag ausbrennt und Mussolini den neuen Futurismus Roms befiehlt, von dem Marinetti nie geträumt hat, so schien ihm (Huelsenbeck) die Tatsache unerträglich, dass kein Wort im Stand sein solle, die Simultanität dieser Ereignisse zu fixieren. Die Erkenntnis solch nieder¬drückender Konsequenz Hess in Huelsenbeck (psychoanalytisch ist das absolut klar), kom-pensatorisch abdrängend die Wahnvorstellung entstehen, das Simultangedicht könne diesem Wortmangel abhelfen. Es liegt zweifellos hier ein Erkenntnisfehler vor, der mit Pathologie nichts zu tun hat, sondern rein erkenntniskritischer Natur ist. Aber die dadalogische Verteidigung des Simultangedichts (vom statischen und bruitisti-schen Kehraus nicht zu reden) war lediglich eine Atrappe, und hier kommen wir zum springenden Punkt des Dadaismus, der ja schon aus dem Namen „ d a d a " = „Wiegen-und Schaukelpferd der Kinder" hervorgeht.
Der primäre Antrieb des Dadaismus war ein echt unverfälscht jungenshafter Spieltrieb. Wenn man 20 Jahre alt ist kann man nicht mehr Indianertomawakwigwam auf der Dorfgasse spielen, und so spielt man DADA, und die grossen Leute nehmen Dada für eine Literatur- und Kunstbewegung, und Dada war auch eine Literatur- und Kunstbewegung. Sie hat manchen Sprach- und Kunstmisthaufen desinfiziert, unbeschadet dessen, dass der Mist nach wie vor ein unentbehrlicher Bedarfsartikel in der Landwirtschaft bleibt.
Um nocheinmal vorne anzufangen mit der Definition des Dadaismus. Wahrhaftig, die Kinder haben sich für wirkliche Indianer gehalten. Nein, die Sache liegt so: es ist eine Binsenwahrheit, dass Dichtung und Kunst Kompensation für nichtgelebtes Leben sind. Von dieser Fessel wollten die Dadaisten Dichtung und Kunst befreien. Sie wollten die grosse Hochstapelei und Zauberei des Lebens plastisch vital aufzeigen dadurch, dass sie in höchster Potenz aktiv lebten und trotzdem Dichter und Künstler blieben. Aber hier ging es ihnen wie Moses auf dem Berg Nebo: dieses Land der Verheissung war ein Wunschland und entzog sich ihren Füssen, mochten sie mit Serner auch noch so vielberechtigte und glattgeplättete Bügelfalten auf den Dadathron heben. Den Lebensthron konnte man nur mit dem Dadateleskop und von ganz von sehr fern sehen.
Trotzdem hat Huelsenbeck recht mit jeder Behauptung, denn hier gilt wirklich, dass magnum voluisse dada es. Und so grüsst der Oberdada, der noch viel weiter wollte, alle seine Dadaisten an ihrem zehnten Geburtstag hochachtungsvoll und ergebenst, denn sie haben tatsächlich das Fermament in das Firmament des Stroms der Zeit gegossen, und Wasserscheu vor der Dadadousche ist ein Staatsverbrechen gegen das keimende Leben aller künftigen Generation geworden, denn die Taufe mit Dadawasser ist Vorbedingung für jede neue Sachlichkeit in Kunst, Literatur, Politik und in der gesamten Magie des Lebens auf unserem Stern Dada.

H.a/1250- (1040)«

Hs. Zusatz auf Blatt 1, Bleistift:
»Das ist der Artikel, den mir Wedderkopp voriges Jahr abgelehnt hat. 17.2.27[20] (Einiges Beimaterial behielt er „zu gelegentlicher Bringung").«