Brief von Otto Nebel an Hannah Höch. Bern
Otto Nebel






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Werkdaten
Inventarnummer
BG-HHC K 368/79
Person / Körperschaft
Titel
Brief von Otto Nebel an Hannah Höch. Bern
Datierung
02.01.1935
Gattung
Untergattung
Material / Technik
Papier, handgeschrieben
Umfang
2 Blatt
Creditline
Erworben aus Mitteln des Senators für Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, 02.01.1935
Eigentümer*in
Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Berlin, DE
Erwerbsjahr
1979
Erwerbsart
Sammlung
Urheber*innenrecht
Unterliegt nicht dem Urheberrechtsschutz
Eigentümer*in
Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Berlin, DE
Erwerbsjahr
1979
Erwerbsart
Kauf
Sammlung
Künstler*innen-Archive
Urheber*innenrecht
Unterliegt nicht dem Urheberrechtsschutz
Texte
Transkription
"Bern-Kirchenfeld,
Kalcheggweg 17.
am 2.I.35.
Liebste Hannah Höch -
Ihre Karte hat uns soeben hier erreicht und, - wie Sie sich wohl denken können, sehr erschüttert und bewegt. Armes Kind, - was haben Sie gelitten! Wir hoffen und wünschen von ganzem Herzen, daß Sie jetzt auf dem Wege der Besserung sein werden. Lassen Sie uns doch bitte wissen, wie alles verlaufen ist. Wir haben ja keine Ahnung gehabt von Ihrer Erkrankung. Gertrud R. hatte uns vor längerer Zeit einmal eine Notiz geschrieben, aus der wir nur entnehmen konnten, daß es Ihnen «garnicht gut» gehe. Wir dachten aber nicht an eine schwere Krankheit, sondern nahmen etwas «Normaleres» an. - Man nimmt gerne «etwas an», - nicht wahr.
Es ist gut, daß wir nun wieder in direkter Verbindung sind, liebste Hannah. Ja, wir sind noch immer an der gleichen Stelle, - bis spätestens Mitte oder Ende April wenigstens. Was dann geschehen soll, werden Sie zu gegebener Stunde erfahren, sobald sich unsere Pläne ganz geklärt haben werden.
Ich will heute nur rasch, damit Sie sehen wie intensiv und herzlich wir an Sie denken, Ihre kleinen großen Fragen nach unserem Leben und Tun beantworten. Gesundheitlich geht es nach Wunsch. Hilda hatte im Herbst eine größere Zahngeschichte gehabt, die sie aber gut überstand. Neulich ist sie mit beträchtlicher Löwen-Wucht die letzten beiden Stufen der Haustreppe hinuntergestürzt und hat sich den linken Knöchel verstaucht. Eiswasser, Tonerde und Massagen halfen prompt. Jetzt läuft die Kleine wieder wie sonst. Schülerinnen hat sie zwei. Eine zahlt sogar. Sonst ist es für Hilda recht schwer, sich in ihrer Sache zu betätigen. Wir sind eben eingeengt durch die behördlichen Vorschriften. Aber im ganzen geht es recht und bescheiden weiter.
Meine Arbeit insbesondere hat keinen Tag geruht. Mein Buch über Malerei usw., - das Hauptwerk mit Abbildungen, Dichtungen und morphologischen Kapiteln, ist bei einem großen Verlage. Ich erwarte den endgültigen Bescheid im Verlaufe des Januar. Absagen sind natürlicherweise immer noch möglich, doch ich werde es schon noch schaffen.
Die neuen Bilder, Zeichnungen, Guaschen kleinen, mittleren und großen Formats sollten Sie sehen können. Ich habe wie ein Pferd gearbeitet. Neue Freunde sind gekommen, allerlei wichtige Beziehungen sind angeknüpft, - kurz, ich darf sagen, daß die Dinge, (den «Zeiten» entsprechend,) besser laufen als wir, den «Zeiten» entsprechend, vermuten konnten.
Sie wissen, daß Klee und Frau unsere Nachbarn sind? Nein? Doch. Das ist eine sehr schöne und angenehme gegenseitige Freundschaft, - auch eine starke gegenseitige künstlerische Antrieb-Bindung. Klee wird Februar-März hier eine sehr große Ausstellung zeigen. [1] Ein schönes Buch mit seinen Zeichnungen ist erschienen (in Deutschland!). Den Text hat Grohmann geschrieben. [2]
Sie sehen, die Kunst geht weiter, - und das soll uns allen immer wieder ein Trost bleiben. Man hat uns ja doch niemals danach gefragt, wie wir es schaffen trotz allem.
Sie haben vollkommen recht: die überzeitlichen großen Erkenntnisse und die wenigen Menschen, die im Geiste dieser Gegebenheiten lebten und leben, bleiben unsere eigentlichen Gefährten.
Ich fühle alle Ihre Gedanken und Empfindungen mit und nach; - Sie haben jetzt das große, etwas schmerzliche Glück, das Leben aus der Perspektive des Genesenden zu schauen. Es ist mir nicht bange um die Fülle der «Motive», die sich Ihnen aus dieser Sicht auf das Dasein vorstellen werden. Besorgt bleiben wir nichtsdestoweniger! Teilen Sie uns doch bitte ja mit, wie Sie sich befinden, wie Sie sich kräftigen und was die Ärzte sagen. Es ist uns alles wichtig und lieb, was von Ihnen erzählt und uns so gleichsam in Ihre nächste Nähe holt. Mir sind die guten Stunden dort noch so hell gegenwärtig, daß ich erschrecke, wenn ich nachrechne, wie lange es schon her ist, seit wir Sie beide nicht sahen. Seit wir Sie beide sahen und hörten. -
Die Briefe aus Deutschland sind immer seltener und seltsamer geworden. Wenn man so in seinem Adressenkalender blättert, findet man eine Menge von durchgestrichenen Anschriften, - die Namen sind mit der Völkerwanderung verschwunden aus dem «alten Kreise».
Nehmen Sie, liebe Freundin, heute mit diesen wenigen Zeilen vorlieb. Die sollen nur ein erster Zuruf sein. Ich werde Ihnen sehr bald wieder schreiben.
Das neue Jahr soll Ihnen beiden nur Gutes bringen!
Unsere Grüße kommen aus warmen Herzen.
Ich umarme Sie in alter Freundschaft, und bleibe in treuer Zuneigung
Ihr Otto N.//
Liebe Hannah Höch, auch ich möchte Ihnen viel Liebes sagen! Schicke viele Wünsche von Herzen, daß dies neue Jahr ein Gutes sein möchte ein aufsteigendes wieder! Viele herzliche Grüße, auch an Frl. Brugmann.
Ihre Hilda Nebel"//
[1] Vom 23. Februar bis zum 24. März 1935 präsentierte die Kunsthalle Bern in einer Doppelausstellung eine umfassende Retrospektive von Klee mit 273 Exponaten aus den Jahren 1919 bis 1934 und Kleinplastiken von Hermann Haller, einem Jugendfreund von Klee.
[2] Paul Klee : Handzeichnungen 1921-1930 / Will Grohmann (Hrsg.). Potsdam; Berlin: Müller & Kiepenheuer, 1934.
Transkription
"Bern-Kirchenfeld,
Kalcheggweg 17.
am 2.I.35.
Liebste Hannah Höch -
Ihre Karte hat uns soeben hier erreicht und, - wie Sie sich wohl denken können, sehr erschüttert und bewegt. Armes Kind, - was haben Sie gelitten! Wir hoffen und wünschen von ganzem Herzen, daß Sie jetzt auf dem Wege der Besserung sein werden. Lassen Sie uns doch bitte wissen, wie alles verlaufen ist. Wir haben ja keine Ahnung gehabt von Ihrer Erkrankung. Gertrud R. hatte uns vor längerer Zeit einmal eine Notiz geschrieben, aus der wir nur entnehmen konnten, daß es Ihnen «garnicht gut» gehe. Wir dachten aber nicht an eine schwere Krankheit, sondern nahmen etwas «Normaleres» an. - Man nimmt gerne «etwas an», - nicht wahr.
Es ist gut, daß wir nun wieder in direkter Verbindung sind, liebste Hannah. Ja, wir sind noch immer an der gleichen Stelle, - bis spätestens Mitte oder Ende April wenigstens. Was dann geschehen soll, werden Sie zu gegebener Stunde erfahren, sobald sich unsere Pläne ganz geklärt haben werden.
Ich will heute nur rasch, damit Sie sehen wie intensiv und herzlich wir an Sie denken, Ihre kleinen großen Fragen nach unserem Leben und Tun beantworten. Gesundheitlich geht es nach Wunsch. Hilda hatte im Herbst eine größere Zahngeschichte gehabt, die sie aber gut überstand. Neulich ist sie mit beträchtlicher Löwen-Wucht die letzten beiden Stufen der Haustreppe hinuntergestürzt und hat sich den linken Knöchel verstaucht. Eiswasser, Tonerde und Massagen halfen prompt. Jetzt läuft die Kleine wieder wie sonst. Schülerinnen hat sie zwei. Eine zahlt sogar. Sonst ist es für Hilda recht schwer, sich in ihrer Sache zu betätigen. Wir sind eben eingeengt durch die behördlichen Vorschriften. Aber im ganzen geht es recht und bescheiden weiter.
Meine Arbeit insbesondere hat keinen Tag geruht. Mein Buch über Malerei usw., - das Hauptwerk mit Abbildungen, Dichtungen und morphologischen Kapiteln, ist bei einem großen Verlage. Ich erwarte den endgültigen Bescheid im Verlaufe des Januar. Absagen sind natürlicherweise immer noch möglich, doch ich werde es schon noch schaffen.
Die neuen Bilder, Zeichnungen, Guaschen kleinen, mittleren und großen Formats sollten Sie sehen können. Ich habe wie ein Pferd gearbeitet. Neue Freunde sind gekommen, allerlei wichtige Beziehungen sind angeknüpft, - kurz, ich darf sagen, daß die Dinge, (den «Zeiten» entsprechend,) besser laufen als wir, den «Zeiten» entsprechend, vermuten konnten.
Sie wissen, daß Klee und Frau unsere Nachbarn sind? Nein? Doch. Das ist eine sehr schöne und angenehme gegenseitige Freundschaft, - auch eine starke gegenseitige künstlerische Antrieb-Bindung. Klee wird Februar-März hier eine sehr große Ausstellung zeigen. [1] Ein schönes Buch mit seinen Zeichnungen ist erschienen (in Deutschland!). Den Text hat Grohmann geschrieben. [2]
Sie sehen, die Kunst geht weiter, - und das soll uns allen immer wieder ein Trost bleiben. Man hat uns ja doch niemals danach gefragt, wie wir es schaffen trotz allem.
Sie haben vollkommen recht: die überzeitlichen großen Erkenntnisse und die wenigen Menschen, die im Geiste dieser Gegebenheiten lebten und leben, bleiben unsere eigentlichen Gefährten.
Ich fühle alle Ihre Gedanken und Empfindungen mit und nach; - Sie haben jetzt das große, etwas schmerzliche Glück, das Leben aus der Perspektive des Genesenden zu schauen. Es ist mir nicht bange um die Fülle der «Motive», die sich Ihnen aus dieser Sicht auf das Dasein vorstellen werden. Besorgt bleiben wir nichtsdestoweniger! Teilen Sie uns doch bitte ja mit, wie Sie sich befinden, wie Sie sich kräftigen und was die Ärzte sagen. Es ist uns alles wichtig und lieb, was von Ihnen erzählt und uns so gleichsam in Ihre nächste Nähe holt. Mir sind die guten Stunden dort noch so hell gegenwärtig, daß ich erschrecke, wenn ich nachrechne, wie lange es schon her ist, seit wir Sie beide nicht sahen. Seit wir Sie beide sahen und hörten. -
Die Briefe aus Deutschland sind immer seltener und seltsamer geworden. Wenn man so in seinem Adressenkalender blättert, findet man eine Menge von durchgestrichenen Anschriften, - die Namen sind mit der Völkerwanderung verschwunden aus dem «alten Kreise».
Nehmen Sie, liebe Freundin, heute mit diesen wenigen Zeilen vorlieb. Die sollen nur ein erster Zuruf sein. Ich werde Ihnen sehr bald wieder schreiben.
Das neue Jahr soll Ihnen beiden nur Gutes bringen!
Unsere Grüße kommen aus warmen Herzen.
Ich umarme Sie in alter Freundschaft, und bleibe in treuer Zuneigung
Ihr Otto N.//
Liebe Hannah Höch, auch ich möchte Ihnen viel Liebes sagen! Schicke viele Wünsche von Herzen, daß dies neue Jahr ein Gutes sein möchte ein aufsteigendes wieder! Viele herzliche Grüße, auch an Frl. Brugmann.
Ihre Hilda Nebel"//
[1] Vom 23. Februar bis zum 24. März 1935 präsentierte die Kunsthalle Bern in einer Doppelausstellung eine umfassende Retrospektive von Klee mit 273 Exponaten aus den Jahren 1919 bis 1934 und Kleinplastiken von Hermann Haller, einem Jugendfreund von Klee.
[2] Paul Klee : Handzeichnungen 1921-1930 / Will Grohmann (Hrsg.). Potsdam; Berlin: Müller & Kiepenheuer, 1934.
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