Brief von Raoul Hausmann an Hans Richter. Berlin, 07.11.1930
Raoul Hausmann
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Werkdaten
Inventarnummer
BG-RHA 726
Person / Körperschaft
Titel
Brief von Raoul Hausmann an Hans Richter. Berlin, 07.11.1930
Gattung
Untergattung
Material / Technik
Papier, maschinengeschrieben, Durchschlag
Umfang
1 Blatt
Creditline
Erworben aus Mitteln der Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, und Spendenmitteln
Geografischer Bezug
Konvolut
Teilnachlass Raoul Hausmann
Eigentümer*in
Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Berlin
Erwerbsjahr
1992
Erwerbsart
Sammlung
Urheber*innenrecht
Not protected by copyright
Eigentümer*in
Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Berlin
Erwerbsjahr
1992
Erwerbsart
Kauf
Sammlung
Künstler*innen-Archive
Urheber*innenrecht
Not protected by copyright
Texte
Transkription
»Raoul Hausmann Berlin-Charlottenburg Kaiser-Friedrichstr. 52
den 7. II. I930
Lieber Hans Richter,
ich bin vom Arzt wegen Magen und Herz für einige Zeit krankgeschrieben und kann in der nächsten Woche oder auch in der übernächsten nicht zu Ihnen kommen. Kemeny war am vorigen Montag bei mir und ich habe mich mit ihm ja so weit ausgesprochen, dass er, genau wie ich von ihm, sehen konnte, wo ich stehe. Eine nochmalige Aussprache in Sachen Eggelings Nachlassverwertung ist vorläufig überflüssig.
Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass ich sowohl Mach, wie Uexküll, Marx-Engels, wie auch Lenin, Materialismus-Empiriokritizismus, kenne und gerade wieder einmal durcharbeite. Es ist aber absolut unangängig, Eggeling im Sinne des dialektischen Materialismus auszulegen. Was Eggeling von da aus geleistet hat, waren höchstens Strukturuntersuchungen und Funktionsabläufe, die aber nicht die geringste „Kunst“-geltung im Sinne des dialektischen Materialismus besitzen. (Ich erinnere an das Manifest: Kemeny-Moholy: dynamisch-konstruktives Kraftsystem I922, das absolut gegen die theoretische Anschauung des dialektischen Materialismus verstösst, obgleich es biotechnisch fundiert und polaristisch formuliert ist. Wenn Kemeny das nicht einsehen sollte, so habe ich doch keinen Anlass das anders anzusehen.) - Eggeling kann nicht anders, d.h. marxistisch, interpretiert werden, er war vielleicht so was, wie ein formal-synthetischer Empirokritizist. Man würde ihm Gewalt antun, wenn man seine Bewusstheit mechanisieren würde, d.h. seine Bedeutung im marxistischen Sinne übersteigern oder im „kulturellen" (künstlerischen) Sinne herabmindern. Zu beiden liegt für mich keinerlei Anlass vor: Ich habe meine, wenn Sie wollen „biologische", Anschauung über die Rolle der Abstraktkunst und andererseits den intellektuellen Zwiespalt der abstrakten Künstler genaustens fixiert10 und kann davon nicht abweichen, weder Ihnen noch Kemeny zuliebe. Die Bedeutung Eggelings sehe ich historisch schon ganz genau. Aber [es] ist wie gesagt, unmöglich ihn anders, als ganz objektiv darzustellen. Die Probleme des Abstrakten in der Darstellung sind auch bei ihm von der Struktur, die er polar behandelt, abhängig und also materiell, während die „Idee", die Formentwicklung symbolisch gemeint war. Daher kommt vorläufig, wenn Sie und Kemeny mich beeinflussen wollten, eine Arbeit an einem gemeinsamen Eggelingbuch von Ihnen und mir meinerseits nicht in Frage.
Mit besten Grüssen«
Transkription
»Raoul Hausmann Berlin-Charlottenburg Kaiser-Friedrichstr. 52
den 7. II. I930
Lieber Hans Richter,
ich bin vom Arzt wegen Magen und Herz für einige Zeit krankgeschrieben und kann in der nächsten Woche oder auch in der übernächsten nicht zu Ihnen kommen. Kemeny war am vorigen Montag bei mir und ich habe mich mit ihm ja so weit ausgesprochen, dass er, genau wie ich von ihm, sehen konnte, wo ich stehe. Eine nochmalige Aussprache in Sachen Eggelings Nachlassverwertung ist vorläufig überflüssig.
Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass ich sowohl Mach, wie Uexküll, Marx-Engels, wie auch Lenin, Materialismus-Empiriokritizismus, kenne und gerade wieder einmal durcharbeite. Es ist aber absolut unangängig, Eggeling im Sinne des dialektischen Materialismus auszulegen. Was Eggeling von da aus geleistet hat, waren höchstens Strukturuntersuchungen und Funktionsabläufe, die aber nicht die geringste „Kunst“-geltung im Sinne des dialektischen Materialismus besitzen. (Ich erinnere an das Manifest: Kemeny-Moholy: dynamisch-konstruktives Kraftsystem I922, das absolut gegen die theoretische Anschauung des dialektischen Materialismus verstösst, obgleich es biotechnisch fundiert und polaristisch formuliert ist. Wenn Kemeny das nicht einsehen sollte, so habe ich doch keinen Anlass das anders anzusehen.) - Eggeling kann nicht anders, d.h. marxistisch, interpretiert werden, er war vielleicht so was, wie ein formal-synthetischer Empirokritizist. Man würde ihm Gewalt antun, wenn man seine Bewusstheit mechanisieren würde, d.h. seine Bedeutung im marxistischen Sinne übersteigern oder im „kulturellen" (künstlerischen) Sinne herabmindern. Zu beiden liegt für mich keinerlei Anlass vor: Ich habe meine, wenn Sie wollen „biologische", Anschauung über die Rolle der Abstraktkunst und andererseits den intellektuellen Zwiespalt der abstrakten Künstler genaustens fixiert10 und kann davon nicht abweichen, weder Ihnen noch Kemeny zuliebe. Die Bedeutung Eggelings sehe ich historisch schon ganz genau. Aber [es] ist wie gesagt, unmöglich ihn anders, als ganz objektiv darzustellen. Die Probleme des Abstrakten in der Darstellung sind auch bei ihm von der Struktur, die er polar behandelt, abhängig und also materiell, während die „Idee", die Formentwicklung symbolisch gemeint war. Daher kommt vorläufig, wenn Sie und Kemeny mich beeinflussen wollten, eine Arbeit an einem gemeinsamen Eggelingbuch von Ihnen und mir meinerseits nicht in Frage.
Mit besten Grüssen«
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