Radikal subjektiv

Berliner Autor*innenfotografie ab 1970

Ist Fotografie Kunst? Lange wurde diese Frage in Deutschland mit „nein“ oder bestenfalls mit „vielleicht“ beantwortet. Der Arbeit von Fotograf*innen haftete noch bis in die 1970er Jahre hinein oft der Makel an, Bilder für den täglichen Gebrauch zu produzieren – für die Zeitung, für die Werbung oder fürs Familienalbum. Ganz abgesehen davon, dass Fotografieren längst ein Hobby für alle geworden war. Aber nun beanspruchten immer mehr Fotograf*innen, im künstlerischen Kontext zu arbeiten. Deshalb begannen sie, sich ohne konkreten Auftrag ihre Themen und Motive zu suchen. In West- und Ost-Berlin entwickelten Protagonist*innen wie Michael Schmidt, Dieter Appelt, Ulrich Wüst und Helga Paris ein neues Selbstverständnis. Mit ihren Aufnahmen folgten sie allein den eigenen künstlerischen Interessen und Vorstellungen – die Autor*innenfotografie entstand. Die Dokumentation als wichtige Aufgabe der Fotografie wurde von subjektiven Sichtweisen durchdrungen, um den eigenen Blick auf die Welt und deren Lebensrealitäten zu zeigen. In Projekten wie „Wedding“ fotografierte beispielsweise Michael Schmidt graue West-Berliner Stadtlandschaften und zeigte den öffentlichen Raum als Projektionsfläche der Erinnerung. In seinem Blick auf die Stadt als Raumgefüge treffen Alt und Neu aufeinander – die Ruinen als erkennbare Spuren des Krieges, aber auch die neuen Betonbauten als unwirtlicher Lebensraum. Einen eigenen Stil entwickelte auch Gundula Schulze Eldowy, die in der DDR fotografierte. Ihre Serie „Der große und der kleine Schritt“ fokussiert auf Formen der Gewalt, die unbemerkt zum alltäglichen Leben gehören. Diese schonungslos festgehaltenen Aggressionen sind ganz allgemeiner Natur und überall auf der Welt zu finden. Dennoch haben diese Aufnahmen vor dem Hintergrund der abgeschotteten, eingemauerten DDR eine besondere Bedeutung.